Zukunft gestalten – Fragen wir zu wenig und warum?

In sozialen Medien fällt mir immer wieder auf: Es gibt mehr Antworten als Fragen- Statements, Positionen, Erklärungen aber wenig Offenheit oder Skepsis. Dabei sind es gerade die Fragen, die Erkenntnis ermöglichen, Perspektiven öffnen und Entwicklung fördern – besonders in Zeiten des Wandels: Ob in Unternehmen, durch technologische Umbrüche wie KI oder in der Art, wie wir als Medienschaffende Geschichten erzählen und Narrative etablieren.

Warum also diese Zurückhaltung?

Ein Erklärungsansatz kommt vom Sozialpsychologen Arie Kruglanski. Er entwickelte das Konzept des „Need for Closure“ (NFC) – das Bedürfnis nach klaren, eindeutigen Antworten und abgeschlossenen Situationen.

Ein hoher NFC bedeutet: Ich strebe nach Ordnung, Vorhersagbarkeit und schnellen Entscheidungen. Unsicherheit und Ambiguität belasten mich. Das kann effizient sein – aber auch gefährlich.

Denn in einer komplexen Welt kann ein zu hoher NFC dazu führen, dass wir vorschnell urteilen, Informationen nicht mehr hinterfragen und an einmal gefassten Meinungen festhalten. Kruglanski nennt das: „Zuschnappen und Einfrieren“: Unter Stress unreflektiert Informationen sammeln, also „zuschnappen“ und dann möglichst schnell verfestigen, heißt „dicht machen“ bzw. „einfrieren“.

Gerade in sozialen Medien wird das sichtbar: Wer sich öffentlich positioniert, will nicht widersprüchlich erscheinen. Fragen zu stellen wirkt wie ein Zeichen von Unsicherheit – obwohl es in Wahrheit ein Zeichen von Stärke ist. So entstehen oft Narrative, die rückwärtsgewandt sind und neue Ideen ausschließen.

Neugier ist eine menschliche Grundfähigkeit. Aber fördern wir sie genug?

Die Entwicklungspsychologin Susan Engel zeigt: Kinder stellen zwischen dem zweiten und sechsten Lebensjahr rund 40.000 Fragen. Eine 44-jährige Führungskraft stellt im Schnitt sechs pro Tag.

Der erste Bruch? Die Einschulung. Dort reduziert sich die Zahl der Fragen auf zwei pro Stunde. In der fünften Klasse zeigen Kinder laut Studien innerhalb von zwei Stunden kein Anzeichen von Neugier mehr.

Was läuft da schief?

Carl Naughton bringt es auf den Punkt: Es geht nicht darum, ob eine Lehrkraft nett oder streng ist – sondern ob sie Neugier zulässt. Wer Fragen erlaubt, auch abseits des Lehrplans, aktiviert echtes Lernen.

Denn: Der größte Lernerfolg entsteht, wenn ich Antworten auf meine eigenen Fragen finde. Deshalb sind klassische Klausuren nicht mehr zeitgemäß. Abfragewissen ist weniger relevant als die Fähigkeit, Informationen kritisch zu bewerten und ihre Nützlichkeit zu erkennen.

Bei der „Sendung mit der Maus“ geht es genau darum: Spaß daran zu vermitteln, neugierig zu sein. Manchmal wird die Maus in die Nähe von Schulwissen gerückt – doch wie Armin Maiwald es einmal sagte:

„Die Sendung mit der Maus ist nicht die Schule der Nation.“ Sie folgt keinem Lehrplan – sondern der Neugier der Kinder.

Fragen wir also wieder mehr. Und fördern wir eine Kultur, in der Fragen nicht als Schwäche gelten – sondern als Anfang von Erkenntnis.

👉 Wie schaffen wir es, Neugier in den Medien, im Bildungssystem, in Unternehmen und Organisationen zu fördern?

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Buchtipps zur Vertiefung

🔹 Arie Kruglanski

  • Uncertain: How to Turn Your Biggest Fear into Your Greatest Power → Ein zugängliches Buch über den Umgang mit Unsicherheit und das Konzept des „Need for Closure“.
  • The Psychology of Closed Mindedness → Wissenschaftliche Grundlage zum Thema kognitive Geschlossenheit und wie sie unsere Urteilsfähigkeit beeinflusst.
  • The Quest for Significance → Über das menschliche Bedürfnis nach Bedeutung und wie es unser Denken und Handeln prägt.

🔹 Carl Naughton

  • Neugier: So schaffen Sie Lust auf Neues und Veränderung → Ein praxisnahes Buch über die Rolle von Neugier in Veränderungsprozessen – mit vielen Beispielen aus Bildung und Führung.

🔹 Susan Engel

  • The Hungry Mind: The Origins of Curiosity in Childhood → Eine tiefgehende Analyse darüber, wie Neugier bei Kindern entsteht – und wie Bildung sie fördern oder unterdrücken kann.
Matthias Körnich
Matthias Körnich
Artikel: 11

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